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Martin Sonneborn
Herr Sonneborn bleibt in Brüssel

Herr Sonneborn bleibt in Brüssel

Neue Abenteuer im Europaparlament

by Martin Sonneborn, 432 pages

Finished on 10th of May
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[GERMAN] Hat der Satiriker nach seiner zweiten Amtszeit im EU-Parlament seinen Humor verloren? Fast. Dennoch ist das Buch sehr wichtig und interessant. Es zeigt die groben Missstände und Korruption auf und verursacht trotzdem einige Lacher.

🎨 Eindrücke

Nachdem ich 2019 sein Buch über seine ersten fünf Jahre als Abgeordneter im EU-Parlament gelesen hatte, war ich sehr gespannt, wie die zweite Amtszeit sich auf Martin Sonneborn ausgewirkt hat. Was hat sich verändert, wie hat er sich verändert, wie hat sich gegebenenfalls das politische Klima verändert?

Das Ergebnis lautet, es ist rundum deutlich düsterer. Zwar passt das Buch immer noch in die Kategorie der “politischen Satire”, aber nur gerade so eben. Die Lage ist viel ernster, Sonneborn tiefer im Kaninchenbau und spürt die Tragweite und Schwere der parlamentarischen Zusammenarbeit. Er weiß inzwischen deutlich mehr über seine Kolleg*innen im Parlament und hat auch generell ein tiefes politisches Verständnis. Das war zwar natürlich auch vor seiner Zeit im Parlament schon der Fall, schließlich hat er sich sein Leben lang mit Politik auseinandergesetzt und eine Magisterarbeit in den Politikwissenschaften vorzuweisen. Bisher lautete das Ziel seiner Satire aber, dass er mit Klamauk und Albernheit Interesse für Politik wecken will – und das hat sich geändert. Es ist nur noch wenig Klamauk und Albernheit dabei. Mein Interesse hat er dadurch allerdings überhaupt nicht verloren, im Gegenteil.

Die wenigen überraschend witzigen Situationen, die er beschreibt, haben mich immer wieder zwischendurch zum lauten Lachen gebracht, und ich habe den Grundtenor aufgenommen, dass er seinen Spruch “Europa nicht den Leyen überlassen” durchaus sehr ernst meint. (Anspielung auf die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.) Von der Leyen hatte sich mithilfe eines sehr zwielichtigen Bündnisses mit mehreren rechtsextremen Parlamentsmitgliedern zur Kommissionspräsidentin wählen lassen, denen sie im Nachgang dann allen einen Gefallen schuldete. Dann hat sie sich für Unsummen im Brüsseler Bürogebäude für Parlamentsmitglieder eine luxuriöse Penthouse-Wohnung einbauen lassen. Und nicht zu vergessen die sogenannte “Berater-Affäre”, bei der von der Leyen Millionen an McKinsey hat zahlen lassen, wo Verwandte von ihr direkt davon profitierten. Und zu guter Letzt natürlich ihre sehr schwachen Verhandlungen mit Pfizer/BioNTech bezüglich der 900 Millionen Impf-Dosen während der COVID-Pandemie, die sie per SMS geführt hat, aber leider diese Nachrichten dann aus Versehen gelöscht hatte, als sie sich vor einem Untersuchungsausschuss für die unvorteilhaften Ergebnisse verantworten musste.

Es lässt sich zusammenfassend sagen, dass der Grad an Korruption im EU-Parlament anscheinend nochmal deutlich zugenommen hat. Möglicherweise hat Sonneborn inzwischen auch einfach bessere Quellen bzw. kann mehr Zusammenhänge beleuchten, weil er mehr Erfahrung hat, jedenfalls ist es beängstigend, was die Abgeordneten alle für Tricks anwenden, um sich selbst zu bereichern. Wo sind die Idealisten?

Mich hat das Buch dahingehend darin bestärkt, mich selbst aktiver mit Politik auseinanderzusetzen. Ich ziehe sogar in Erwägung, das System auch wie Sonneborn selbst von innen kennenzulernen, um mit meinem Idealismus vielleicht sogar wirklich etwas Positives bewegen zu können. Wer weiß, vielleicht führt der Weg ja sogar auch irgendwann ins EU-Parlament. Ich habe zwar keine passende Ausbildung, aber das scheint ganz und gar kein Hindernis zu sein, wenn man sich die 705 Abgeordneten einmal genauer anschaut. Was definitiv fehlt, sind Menschen, die sich nicht von Lobbyismus, internen Absprachen und nervigem zwischenmenschlichen Stumpfsinn ablenken lassen, sondern in den Abstimmungen so wählen, wie es am menschlichsten und besten für die Zukunft von Europa ist. Das klingt natürlich naiv, aber aktuell geht es scheinbar kaum schlechter. Da wird unter anderem dagegen gestimmt, die im Mittelmeer verunglückten Flüchtenden zu retten. Dafür muss man kein tiefes Verständnis haben, um zu sehen, dass es sich dabei um die schlechtere von beiden Entscheidung handelt.

Vielsagend ist, dass die deutsche Regierung nun schon zum dritten Mal versucht hat, eine Prozent-Hürde für die Europawahl einzuführen, damit der unbequeme Sonneborn nicht wieder ins Parlament gewählt wird. Bei der letzten Wahl hatte Sonneborns Die PARTEI allerdings 2,4%, also sogar mehr als die vorgeschlagenen 2%. So oder so ist der Versuch vom Verfassungsgericht wiederholt abgeschmettert worden, weil er undemokratisch ist. Wir brauchen Sonneborn im Parlament. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, wir wären aktuell besser beraten, wenn dort 705 Sonneborns sitzen würden.

Das Buch ist meiner Meinung nach unheimlich wichtig. Es deckt die groben Missstände im Parlament auf und liegt mit seinem Veröffentlichungstermin so im Timing, dass es hoffentlich noch rechtzeitig einige Menschen dazu bewegt, am 09. Juni 2024 bei der Europawahl zu wählen, die ja leider eine notorisch niedrige Wahlbeteiligung hat. Auf geht’s! Europa nicht den Leyen überlassen!

📔 Highlights

Berlin, Kreuzberg

Dabei hatten Leute schon öfter angeboten, uns etwas zu spenden. Wir waren nicht darauf eingegangen, weil Parteiarbeit ohne Geld viel mehr kreative Energie freisetzt.

Straßburg, Parlament

Die Vertreter der Mitte, deren analytisches Elementarwissen eigentlich in der Phrase gipfelt, in einer »komplexen Welt« könne es so »einfache Antworten« gar nicht geben, scheinen selbst auch nicht die feurigsten Vorkämpfer differenzierten Denkens zu sein.

Brüssel, Parlament

Ihre Macht kennt nur eine Grenze: Selbst Sie und Ihre 750 Milliarden können nicht dafür sorgen, dass der Hamburger SV jemals wieder in die Bundesliga aufsteigt.«

Berlin, Reinickendorf

Wir kaufen russisches Gas jetzt aus Aserbaidschan, allerdings etwas teurer. Auch Indien verkauft russisches Öl teurer weiter nach Europa.

Frieden und Sicherheit in Europa gibt es nie ohne und gegen Russland. Russland gehört zu Europa, und wir haben zum Teil andere Interessen als die USA. Man muss auch den Mumm haben, das zu artikulieren. …

Straßburg, Parlament

Als letzte offizielle Amtshandlung faxt Assistent Schiller noch einen offiziellen Antrag an die Berliner Stadtverwaltung, als kleinen Stresstest zur Wahlwiederholung am 12. Februar, dann müssen wir nur noch die Ansprache ins Netz hochladen.

Brüssel, Le Murmure

Oxfam zufolge würde eine zweiprozentige Besteuerung ihres Vermögens–das der Milliardäre, nicht der Rentner!–lockere 12 Milliarden einbringen. Das ist das Zwölffache des mutmaßlichen Rentenlochs.«

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